Gerhard Scheit

Mitleid für Hitler

Der überwältigende Erfolg von Georges Taboris Mein Kampf in der Meldemannstraße

Mit den Farcen von George Tabori verhält es sich wie mit der Dreigroschenoper von Brecht und Weill. Ihr Erfolg beim Publikum überwältigt sie – für jede ihrer Inszenierungen aber ist entscheidend, was sie der Überwältigung entgegensetzen kann. Der Ort, den sich die jüngste Aufführung von Taboris Mein Kampf (Regie: Hubsi Kramar und Tina Leisch) gewählt hat, bietet für diesen Kontrapunkt an sich günstige Voraussetzungen: das Männerheim in der Meldemannstraße, von dem auch einige Bewohner als Randfiguren der Handlung mitspielen. Aber sie kommen der Verfremdung nicht zugute, denn die Mechanismen der Identifikation werden nicht gestört: Ort und Darsteller geraten der Inszenierung zum Milieu, mit dem das Publikum, das sich hier einfindet, ohnehin sympathisiert. Nur in einzelnen, nahezu improvisierten Auftritten wird das surrealistische Potential sichtbar; das professionelle Komödienspiel jedoch, das Taboris Text verwendet, bleibt davon weitgehend unbeeindruckt.

Hannah Fröhlich hat in ihrer Kritik das Wesentliche gesagt: die Produktion ist “nur zum Lachen (..) aber beklemmend ist sie nie.” (Augustin Nr. 105/2002) So erweist sich vor allem die Darstellung Herzls gutgemeint im schlechtesten Sinn: Alexander Waechter fühlt sich ein und das Publikum fühlt mit. Darin geht der Abstand zu jenen stereotypen Verhaltensweisen verloren, die Tabori vorführen möchte – und die zu distanzieren, ohne sich von ihnen zu distanzieren, die Intention seines Witzes wäre. Handelt es sich bei dem publizierten Text des Stücks um eine Übersetzung, die Jargon und Dialekt meist vermeidet (die Rede eher norddeutsch als wienerisch einfärbt), und steht Tabori dem Wiener Dialekt überhaupt ziemlich fremd gegenüber, so ist Herzls Rede in dieser Interpretation eine bewußte Mischung aus Wiener Dialekt und Anklängen ans Jiddische. Auch dadurch wird die Figur dem Publikum zu nahe gerückt: Es entsteht eine falsche Intimität – eine, die dem Gemeinschaftsgefühl der Schuldabwehr, wie es hierzulande die Generationen vereint, überaus entgegenkommt.

Die Einfühlung macht auch vor der Darstellung Hitlers nicht halt, der doch von Tabori als Vernichtungs-Maschine angelegt ist, so lächerlich wie gefährlich, unerreichbar für jede Regung – eine absolute Kunstfigur, die jenen Antisemitismus verkörpert, dem sich Herzl überall konfrontiert sieht. In ihrer Replik auf die Kritik von Hannah Fröhlich schreibt die Regisseurin: “Wir haben uns bemüht, in der Inszenierung Herzl und dem Publikum echtes Mitgefühl mit dem an der Akademie gescheiterten, mit den von den Mitbewohnern verlachten, mit dem Nichtweinenkönnenden einzuflößen (...). Nicht die Identitätskrise des jungen Hitler im Männerwohnheim ist erbärmlich und lächerlich und schiach, sondern die menschenverachtenden rassistischen, antisemitischen und nationalistischen Identitätskonstrukte sind es, mit denen er die Krise überwindet.” (Augustin Nr. 105/2002) Mein Kampf ist jedoch alles, nur kein naturalistisches Drama, das den jungen Hitler auf die Bühne bringt, ‚wie er wirklich gewesen ist‘. Als Farce verstanden zeigt das Stück immerhin, daß Hitler als dramatische Person gar nicht rekonstruiert werden kann; daß die Shoah eine solche historisierend humanistische Darstellung unmöglich macht. Statt diese innere Unmöglichkeit der Figur auszuspielen, wird die NS-Geschichte mit Filmprojektion und Musik dokumentarisch herbeigeholt – und damit die surreale Einheit des Ortes, die Tabori wahrt, aufgegeben.

Was hingegen Herzls Freund Lobkowitz am Beginn bereits weiß und Herzl selbst erst am Schluß – die Inszenierung ignoriert es von Anfang bis Ende: Mitgefühl für Antisemiten ist für Juden “lebensgefährlich”. Auf dieser Ignoranz zu bestehen, bedarf es schon der Metaphorik von Tina Leisch: “aus den Scherben von Menschlichkeit, die der Nationalsozialismus hinterlassen hat, das Garn zu spinnen, um damit den zerbrochenen Krug zu flicken”.

Damit ein schöner Theaterabend herauskommt, der die Scherben der Menschlichkeit alle wieder einsammelt, tanzen am Ende Herzl, Hitler und die anderen Figuren zu einem Lied von Mordechai Gebirtig – und das Publikum kann gar nicht anders: Spontan fällt es in ein rhythmisches Klatschen wie beim abschließenden Radetzkymarsch des Neujahrskonzerts. Das ist der reale Surrealismus, wie ihn eine Gemeinschaft hervorbringt, die sich ihres Ursprungs nicht bewußt werden darf. Wer ihn sichtbar macht, wie Hannah Fröhlich, hat mit entgleisenden Reaktionen zu rechnen – so warf Hubsi Kramar der Kritikerin eine „verhetzende Antisemitismuskeule“ (Augustin Nr. 106/2002) vor. Unfreiwillig gibt sich im finalen Tanz mit dem Publikum (das Gegenteil des nach innen gewandten Schlusses bei Tabori) zu erkennen, daß die Vergangenheit der Opfer immer nur unter dem Gesichtspunkt falscher Versöhnung erinnert werden kann, solange mit dem Land der Täter nicht gebrochen wird.