Eva Krivanec

Portugal als Modell?

Estado Novo und Austrofaschismus, ein Vergleich — Teil 2

Gerade die im ersten Teil des Artikels präsentierte Vorgeschichte des portugiesischen Estado Novo und des Austrofaschismus ermöglicht es, eine ganze Reihe von Ähnlichkeiten in der nur unwesentlich zeitlich verschobenen Formierung dieser beiden Regime aufzuzeigen.

Ähnlichkeiten etwa darin, wogegen der Faschismus in erster Linie gerichtet war – gegen „Zwist“ und „Parteienherrschaft“, also gegen die erstmals mit einiger Konsequenz eingerichteten parlamentarischen Demokratien und gegen den „Bolschewismus“, also gegen die ersten Errungenschaften der ArbeiterInnenbewegung in beiden Ländern. Ähnlichkeiten vor allem auch darin, welche Bündnisse von Relevanz waren, um die Macht zu ergreifen: Bündnisse, die das agrarische Besitzbürgertum, wesentliche Teile des universitären Bildungsbürgertums, monarchistisch-antidemokratische Gruppierungen und Parteien, faschistische Schlägertrupps bzw. paramilitärische Gruppierungen und im besonderen die Katholische Kirche umfassten, die ein wesentliches zur „Bewusstseinsarbeit“ beigetragen hat.

Universität Coimbra

Etappensiege

Die schon kurz nach dem Ende des Ersten Weltkriegs entstehenden Wehrverbände (Heimwehren, Heimatschutz, Bürgerwehren, Frontkämpferverbände), also politisch agierende „Privatarmeen“, die zwar in vielfältige Machtkämpfe untereinander verstrickt waren und das politische Spektrum vom Monarchismus zum Deutschnationalismus, von der katholischen Reaktion zum faschistischen Terrorismus abdeckten, aber allesamt geeint waren in einem unbeirrbaren, aggressiven und militanten Antimarxismus, sind wohl an erster Stelle jener Kräfte zu nennen, die bereits unmittelbar nach Etablierung der Demokratie an ihrer Zerstörung arbeiteten.

Vor allem in den Jahren 1927 bis 1929 konnten die Heimwehren ihre Mitgliederstärke und ihren politischen Einfluss massiv ausbauen. Die Ereignisse des Jahres 1927 können sowohl was ihre tragische Dimension, als auch was die offensichtliche Zusammenarbeit von staatlichen Instanzen mit antidemokratischen, bewaffneten Kräften betrifft, als paradigmatisch gelten. Die vor allem in Ostösterreich aktive, rechtsextreme Frontkämpfervereinigung (FKV) verfolgte im Burgenland, wohl mit Unterstützung des ungarischen Horthy-Regimes, die Strategie, gerade in sozialdemokratisch dominierten Gemeinden wie Schattendorf, durch Versammlungen und Aufmärsche zu provozieren. So war es bereits häufig zu Auseinandersetzungen und Raufereien zwischen Schutzbund und FKV gekommen, bevor am 30. Jänner 1927 mehrere „Frontkämpfer“ mit Jagdgewehren aus der Privatwohnung des Wirten, bei dem eine FKV-Versammlung stattfand, mitten in eine große Gruppe von Schutzbündlern schossen und dabei einen Kriegsinvaliden und einen 7-jährigen Jungen ermordeten. Der Widerhall dieses Ereignisses innerhalb der ArbeiterInnenschaft war enorm — am 2.Februar fand ein 15-minütiger Generalstreik statt. Und bei den Wahlen am 24. April legten die Sozialdemokraten neuerlich 3% zu und kamen auf 42,3%. Als jedoch am Morgen des 15. Juli in den Zeitungen vom Freispruch im Schattendorfer Prozess zu lesen war und die bürgerlichen Parteien dies als Triumph feierten — eine Verhöhnung der Opfer, umso mehr als die Anklage nicht auf Mord, sondern auf den seltsamen Tatbestand der „öffentlichen Gewalttätigkeit durch boshaftes Handeln oder Unterlassen unter besonders gefährlichen Verhältnissen“ lautete — kam es in Wien zu Proteststreiks und spontanen Kundgebungen, bei denen sich mehrere Demonstrationszüge in Richtung Justizpalast bewegten. „Als [die ArbeiterInnenschaft] den Justizpalast anzündete, stellte sich ihnen der Bürgermeister Seitz auf einem Löschwagen der Feuerwehr mit hocherhobener Rechten in den Weg. Seine Geste blieb wirkungslos: der Justizpalast brannte. Die Polizei erhielt Schießbefehl, es gab neunzig Tote.“ [1]

Dieses traumatische Ereignis führte unmittelbar zu einer massiven Schwächung der ArbeiterInnenbewegung und im Gegenzug zu einem siegessicheren Auftreten der rechten Wehrverbände, die sich nun — neben einer großangelegten Aufmarschkampagne, mehreren Putschdrohungen und -versuchen – vor allem in den „Verfassungsstreit“ mit antiparlamentarischen Forderungen einbrachten. In dieser Frage gelang es den Sozialdemokraten schließlich noch im Rückzugsgefecht einen Kompromiss mit den Christlichsozialen auszuhandeln, der den ständisch-autoritären Umbau der Verfassung in einigen Punkten abschwächen konnte. Dennoch handelte es sich bei der B-VG Novelle 1929 um eine tiefgreifende Verfassungsänderung, deren vorrangiges Ziel in der Schwächung der Sozialdemokratie durch die Verlagerung der Macht auf Regierung und Verwaltung, durch die Umstrukturierung des Verfassungsgerichtshofs – auch Hans Kelsen wurde von seinem Posten entfernt – und durch die Einschränkung der Länderkompetenzen (mit Blick auf Wien) in den Bereichen Polizei und Schulwesen, bestand.

Die Heimwehr-Bewegung war von diesem „Fehlschlag in der Verfassungsfrage“ enttäuscht und durchlief einen neuerlichen Radikalisierungsprozess – das unmissverständliche Bekenntnis zum Faschismus wurde im „Korneuburger Eid“ (18.5.1930) offengelegt. Doch auch dieser symbolische Akt konnte sowohl die internen Spaltungen als auch das rasche Anwachsen der Nationalsozialisten nicht verhindern. Erst als sich im regierenden „Bürgerblock“ endgültig der Weg in die Diktatur abzeichnete, standen die Heimwehren wieder tatkräftig zur Seite.

Nachdem im Jänner 1932 die Großdeutschen, vor allem aufgrund massiver Differenzen mit den Christlichsozialen in der Außenpolitik, aus der Regierungskoalition austraten, besaß die Regierung nur mehr die hauchdünne Mehrheit von einer Stimme im Parlament. Die Ergebnisse der Landtagswahlen in mehreren Bundesländern im April 1932 – große Stimmenverluste der bürgerlichen Parteien, Gewinne von NSDAP und Sozialdemokraten – ließen aus Sicht der Regierenden nichts Gutes für die kommenden Nationalratswahlen erwarten. So war der Zwischenfall im Nationalrat am 4. März 1933 – aufgrund von Auseinandersetzungen um eine Geschäftsordnungsfrage kam es zum Rücktritt aller drei Nationalratspräsidenten, ein Fall, der in der Geschäftsordnung nicht vorgesehen war – mehr als willkommen. Die Regierung Dollfuß nützte diese Gelegenheit zur Ausschaltung des Parlaments – durch den Einsatz von Polizeikräften wurde eine neuerliche Versammlung des Nationalrats am 15. März verhindert. Das weit über den festgesetzten Rahmen hinaus gedehnte „Kriegswirtschaftliche Ermächtigungsgesetz“ bot die vorläufige Basis zur Regierungsgesetzgebung. „Gestützt auf das KWEG erließ die Regierung in den Folgemonaten eine Reihe von Verordnungen [...]: Pressezensur, Gleichschaltung der Medien, Einschränkung des Versammlungsrechts und der Demonstrationsfreiheit, Verbot politisch motivierter Streiks, Aussetzung aller Nationalrats-, Landtags- und Gemeinderatswahlen, Ausschaltung des Bundesrats, Säuberung des Staatsdienstes von Regimegegnern, Verschärfung des Strafrechts, Waffenbesitzverbot für Angehörige des behördlich aufgelösten Schutzbund, Errichtung von Anhaltelagern [...].“ [2] Als die Wiener Landesregierung mehrere dieser Verordnungen beim VfGH anfechten wollte, war es für Dollfuß keine große Schwierigkeit mehr, durch eine weitere Verordnung – die demokratische Fassade war nicht mehr notwendig, der Staatsstreich offensichtlich - auch den Verfassungsgerichtshof auszuschalten.

„Im Namen Gottes, des Allmächtigen, ...

...von dem alles Recht ausgeht, erhält das österreichische Volk für seinen christlichen, deutschen Bundesstaat auf ständischer Grundlage diese Verfassung." [3]

Politischer Katholizismus – die Idee einer neuen Gegenreformation gegen Säkularisierung und „Bolschewismus“ – und ständisch-organische Gesellschaftsmodelle bildeten die ideologische Unterfütterung des Austrofaschismus in ganz ähnlicher Weise wie für den portugiesischen Estado Novo. Richtete sich der militante Missionierungsgedanke in Portugal gerade auch an die kolonisierten Bevölkerungen, so konzentrierte sich in Österreich der Kampf gegen die marxistische Bedrohung aus dem Osten – mit allem Pathos, den historische Mythen wie etwa die Befreiung von der Türkenbelagerung zu bieten haben.
Zentrales Element des Politischen Katholizismus war die sogenannte „Christkönigsideologie“, also die konkrete politische – mit sehr deutlichen Attributen einer Führerideologie ausgestattete – Wiedererrichtung eines „Königtums Christi“. Dieses Programm war spätestens mit der päpstlichen Enzyklika „Quadragesimo Ano“ 1931 zur offiziellen Linie der katholischen Kirche erklärt worden und hatte in den katholisch geprägten europäischen Ländern enorme Wirkmächtigkeit. Das ständisch-organische Gesellschaftsmodell hat in Österreich eine besonders ausgeprägte theoretische Ausarbeitung durch Othmar Spann und den Kreis seiner Schüler erhalten. [4] Hierarchische Gliederung, Zwangsharmonisierung und autoritäre Führung des Staates korrespondieren mit einem nationalistischen und vor allem antisemitischen Antikapitalismus, der sich auf vermeintliche vorindustrielle Idealzustände beruft.

Was den Antisemitismus in Österreich betrifft, so ist es einerseits wichtig, das Spezifische des kleriko-faschistischen Antisemitismus zu erfassen – auch zu sehen wie leicht dieser in den eliminatorischen Antisemitismus der Nationalsozialisten transformiert werden konnte. Andererseits muss aber auch klargestellt werden, dass sich der Antisemitismus als gesellschaftlicher Konsens durch die Geschichte der Ersten Republik und quer durch alle politischen Lager zieht und dass – gerade im akademischen Milieu – lange vor 1938, zu den alltäglichen und omnipräsenten verbalen Attacken, der „Antisemitismus der Tat“ hinzukam.

Das Jahr 1934

Sowohl in Portugal als auch in Österreich kam es in den ersten Monaten des Jahres 1934 zu großen, wesentlich bis ausschließlich von der ArbeiterInnenschaft getragenen Aufständen gegen das faschistische Regime. Es waren gewissermaßen letzte — mit dem Mut der Verzweiflung unternommene — Versuche, die ArbeiterInnenbewegung zu retten und vor allem der Stabilisierung der beiden Diktaturen nicht kampflos zuzusehen. Der Versuch, dem Aufstieg des Faschismus quer durch Europa etwas entgegenzusetzen war in diesem Augenblick unbestreitbar vorhanden. Beide Aufstände wurden blutig niedergeschlagen. Massive Repressionsmaßnahmen folgten und die Ereignisse führten insgesamt zu einer gravierenden Demoralisierung der antifaschistischen Kräfte. Nach einiger Zeit begannen diese jedoch, sowohl in Österreich als auch in Portugal, sich unter den gegebenen – gefährlichen – Bedingungen der Illegalität zu reorganisieren, neue Aktionsformen zu finden.

In Portugal waren Gewerkschaften und ein Großteil der oppositionellen Parteien bereits nach dem Militärputsch 1926, sämtliche Parteien mit Ausnahme der Einheitspartei União Nacional / Nationale Union durch die Verfassung von 1933 verboten worden. In den ersten Jahren nach dem Militärputsch kam es zu einer ganzen Reihe von Versuchen, die Diktatur wieder zu stürzen – geplant vor allem von republikanischen Kräften in der Armee und im Exil – die jedoch erfolglos blieben.

Die als ‚Greve geral revolucionária / revolutionärer Generalstreik’ geplante Revolte vom 18. Jänner 1934 war jedoch der erste ausschließlich von ZivilistInnen (v.a. GewerkschaftsaktivistInnen) getragene Versuch, das Regime zu stürzen. [5] Obwohl im Vorfeld bereits eine Vielzahl von republikanischen und gewerkschaftlichen AktivistInnen verhaftet und andere beobachtet wurden, kam es ab dem frühen Morgen des 18. Jänner zu teilweise bewaffneten Aktionen – Sabotageakte, Besetzungen, Bombenanschläge, Stürmung von Gebäuden o.ä. – die aber trotz der Gleichzeitigkeit relativ unkoordiniert blieben. Die Besetzung des Küstenorts Marinha Grande durch die Einnahme mehrerer strategischer Punkte, wie der Polizeistation oder des Postamts, wurde später zum symbolischen Kern der Bewegung, die aber auch an anderen Orten durchaus wirksame Aktionen wie etwa die Lahmlegung von Telefonleitungen oder Bahnverbindungen und mehrere, jedoch lokal begrenzte, Generalstreiks durchführte. Doch die Antwort des ‚Estado Novo’ ließ nicht auf sich warten – war dieser doch deutlich weniger überrascht durch die Revolte als viele AktivistInnen glauben wollten – und sie war so massiv wie zu befürchten war. Insgesamt wurden 600-700 Personen festgenommen, terrorisiert und verhört, zum Teil auf die Azoren deportiert und später in das 1936 eröffnete berüchtigte Lager von ‚Tarafal’ gebracht.

In Österreich kam es ab Jänner 1934 zu verstärkten Provokationen von SozialdemokratInnen seitens der Heimwehren und der Polizei, gleichzeitig kam es ausgehend von den westlichen Bundesländern zu einem „rollenden Putsch“ [6] der Heimwehren, die Zug um Zug versuchten, die noch demokratisch gewählten Landesregierungen zu stürzen. Nach einer provokanten Polizeirazzia im Parteihaus der oberösterreichischen Sozialdemokratie kam es am 12. Februar zur Erhebung der ArbeiterInnenschaft – insbesondere in Wien. Durch den Einsatz sämtlicher verfügbarer Mittel staatlicher Gewalt und der bereitwilligen Hilfe aller rechten Wehrverbände wurde der Aufstand nach drei Tagen Kämpfen blutig niedergeschlagen. Die Folgen sind bekannt: Ermordung, standrechtliche Erschießung und Verhaftung von Tausenden am Aufstand Beteiligten, sofortiges Verbot der SDAP und aller ihrer Teilorganisationen, Konfiszierung ihres „Vermögens“, etc. Dieser verlorene Kampf führte jedoch zu einer relativ radikalen Umorientierung auch der ehemaligen Parteispitze und es wurden im „Untergrund“ neue politische Aktivitäten gesetzt, die u.a. in folgendem – einigermaßen hellsichtigen – Appell in der ersten illegalen Ausgabe der Arbeiter-Zeitung am 25. Februar bestand: „Lasset Euch nicht aus Hass gegen Fey und Dollfuß von den Nazis einfangen! Hitler ist der Todfeind der deutschen Arbeiter und darum auch unser Todfeind. Eine Naziherrschaft in Österreich könnte dauerhafter, innerlich fester und darum gefährlicher sein als die Diktatur des blutigen Palawatsch des Austrofaschismus.“ [7]

Die in diesem Artikel herausgearbeitete Ähnlichkeiten zwischen Estado Novo und Austrofaschismus sind ideologischer bzw. struktureller Natur und beziehen sich auf etwas, was wir eine europäische historische Formation nennen könnten – sowohl Italien als auch Spanien und die ebenfalls unterbeleuchteten faschistischen Diktaturen Osteuropas sind aus dieser Geschichte nicht wegzudenken. Darüber hinaus wäre es aber sehr spannend, einmal genauer zu untersuchen, welche konkreten Verbindungen und direkten Kontakte es zwischen Portugal und Österreich gab, sowohl auf Seiten der Klerikalfaschisten als auch auf Seiten des Widerstands dagegen.

[1Elias Canetti: Die Fackel im Ohr. Lebensgeschichte 1921-1931. – Frankfurt/M.: Fischer TB 1982. S.231.

[2Oskar Lehner: Verfassungsentwicklung. – in: E.Tálos u.a.(Hg.): Handbuch des politischen Systems Österreichs. Erste Republik 1918-1933. – Wien: Manz 1995. S.53f.

[3Einleitung zur Verfassung von 1934 – in: Ilse Reiter (Hg.): Texte zur österreichischen Verfassungsentwicklung 1848-1955. – Wien: WUV – Universitätsverlag 1997. S.230.

[4vgl. Heide Hammer: Othmar Spann. Vom klerikalfaschistischen Ständestaat und seinen Kontinuitäten. – in: Siegfrieds Köpfe. Rechtsextremismus, Rassismus und Antisemitismus an der Universität. Context XXI Nr. 7-8/01 ; _. S.112-119.

[5Hauptträgerin dieser Initiative war die anarcho-syndikalistische Gewerkschaft CGT, die schon mehrere Jahre im „Untergrund“ tätig war, aber es schlossen sich auch – trotz gegenseitiger Vorbehalte – der kommunistische Gewerkschaftsverband CIS und viele unabhängige Gewerkschaften an.

[6vgl. C. Earl Edmondson: Heimwehren und andere Wehrverbände. – in: E.Tálos u.a. (Hg.): Handbuch des politischen Systems Österreichs. Erste Republik 1918-1933. – Wien: Manz 1995. S.274f.

[7zit. in: Dokumentationsarchiv des österreichischen Widerstandes (Hg.): Widerstand und Verfolgung in Wien 1934-1945. Eine Dokumentation. – Wien: ÖBV / Jugend&Volk 21984. S.24.