Klex Wolf

Tauschringe sind anders

Zu Peter Bierl’s Artikel ‚Schaffendes‘ und ‚raffendes Kapital‘

In seinem Artikel in Context XXI 2/2001 beschäftigt sich Peter Bierl mit der Idee der Tauschringe und mit der Lehre von Silvio Gesell im Besonderen. Allerdings schreckt er leider vor sehr aggressiven Rundumschlägen nicht zurück. Eine Entgegnung sei erlaubt.

Die Tauschidee ist keine Idee von Silvio Gesell. Sie ist auch nicht, wie Herr Bierl behauptet, eine Idee aus der Arbeiterbewegung. Sie ist etliche tausend Jahre alt, und vergleichsweise jung dagegen ist die beinahe weltumfassende Akzeptanz der Idee Tauschmittel mit Zinsen zu belegen.

Mit einer solch langen Geschichte am Buckel liegt es auf der Hand, daß sich die unterschiedlichsten Philosophen, religiösen Führer, Ideologen und Politiker der Tauschidee bedienten und noch bedienen, was mit Sicherheit nicht immer zu ihrem Besten war bzw. ist. Auch gegenwärtig gibt es sehr unterschiedliche Ausformungen, und es finden sich Gesinnungen, die mir persönlich, aber wohl auch der überwiegenden Mehrheit aller Tauschenden fremd und suspekt sind. Deshalb bin ich Herrn Bierl dankbar über einige Informationen, die er über antisemitische Tendenzen in der Weltsicht von Gesell, aber auch über aktuelle rechtsökologische Bewegungen innerhalb von deutschen Tauschringen recherchiert hat. Er kennt sich in der deutschen Öko-Szene offensichtlich sehr viel besser aus als ich, und das ist nicht einmal ironisch gemeint. Wenn er dann aber diese Vorwürfe auf alle Tauschringe ausweitet, begeht er eine völlig unzulässige Verallgemeinerung. Die Tauschidee ist da, es liegt an uns, was wir daraus machen.

Immerhin hat mich Peter Bierl darauf aufmerksam gemacht, daß es eine Geschichte der Tauschidee gibt, dafür bin ich ihm dankbar. Denn natürlich muß auch hier Vergangenheit kritisch erforscht werden. Deshalb aber gleich zu seinem krudesten Vorwurf, Tauschringe wären mehr oder weniger generell antisemitisch und faschistisch geprägt:

Ich kenne das Werk von Silvio Gesell kaum, und es bereitet mir auch kein Problem das hier zuzugeben. Offensichtlich gibt es in seinem Werk antisemitische Tendenzen, und darauf soll man aufmerksam machen. Deshalb seine ökologischen Vorstellungen mit einem moralischen Bannfluch zu belegen ist aber wohl wenig sinnvoll. In weiterer Folge dann alle Menschen, die sich mit der Tauschidee beschäftigen als Faschisten zu beschimpfen ist so fair, wie jedem Bargeld-Konsumenten vorzuwerfen, daß er das gleiche Zahlungsmittel wie Hitler akzeptiert. Man kann und soll von allen diesen Menschen verlangen, sich mit der Historie zu beschäftigen und die Schattenseiten zu erkennen. Ähnliches geschieht ja beispielsweise auch gerade in der öffentlichen Diskussion über Antisemitismus im österreichischen Widerstand gegen Hitler. Billige Aburteilungen sind für historische Aufarbeitung jedoch nur kontraproduktiv.

Abschließend zu diesem Thema noch eine persönliche Anmerkung: Ich wurde durch meine Arbeit im Tauschring schon mit einigen Vorwürfen konfrontiert, und ich kann damit umgehen. Humorlos werde ich allerdings, wenn man mich — oder in diesem Falle meine Arbeit — als antisemitisch und faschistisch bezeichnet. Das ist absurd und verleumderisch. Herr Bierl, wenn ich Sie als Faschisten beschimpfe würde, weil Sie Ökologe sind, und weil es irgendwo Ökologen gibt, die Faschisten sind, dann würden Sie wahrscheinlich auch nicht sehr angetan sein.

Aber abgesehen von diesem schweren Vorwurf kommen ja die Tauschringe bei Peter Bierl auch sonst nicht gerade gut weg, viele seiner Kritikpunkte widersprechen sich jedoch gegenseitig. Insgesamt entwirft er ein Bild, das die Tauschringe in ein Eck von gefährlichen organisierten Sektierern mit menschenverachtenden Zielen stellt. Deshalb in aller gebotenen Kürze einige Berichtigungen:

Bei weitem nicht jeder Tauschring ist ein Gesell-Tauschring.

Tauschringe sind nicht zwangsläufig einer bestimmten Ideologie unterworfen: In unserem Tauschring beispielsweise wird niemand nach seinen Weltanschauungen gefragt, und wir versuchen uns auch als Organisationsteam nicht zu sehr einzumischen (klar: man kann nicht nicht kommunizieren, und ich habe auch keine Angst, meine persönliche Meinung in Diskussionen einzubringen). Gemeinsame Basis ist vielleicht noch am ehesten die Kritik am Zinswesen, weil es unserer Meinung nach ein ständiges Wirtschaftswachstum weit über die eigentlichen Bedürfnisse hinaus verlangt, und im Gegenzug dazu die Bevorzugung einer zinslosen Währung, weil sie das Agieren in Kreisläufen anregt, und so ökologisch nachhaltiger sein kann. Diese vorherrschende Sichtweise hat jedenfalls eine kürzlich von uns durchgeführte Umfrage in unserem Tauschring ergeben.

Tauschringmitglieder sehen sich nicht als privilegierte Minderheit, die sich auf Kosten von „minderwertig“ definierten Menschen bereichern. Im Gegenteil herrscht bei fast allen Tauschringen weltweit eine Preisangleichung in den Dienstleistungen vor, wodurch eine soziale Angleichung stattfindet. Eine Rechtsanwaltstunde kostet annähernd das Gleiche wie eine Putzfrauenstunde. Im Gegensatz zu Bierl’s Vorwurf entwickeln sich Tauschringe in Entwicklungsländern dort zu überlebenswichtigen Strukturen, wo die Schere zwischen arm und reich besonders weit auseinander klafft.

Daß für die Arbeiten und Güter keine Sozialversicherungsbeiträge oder Steuern abgeführt werden ist kein „Grundsatz“, lediglich der häufigste momentane Stand. Es gibt aber bereits Modelle, in denen die Beiträge eines Angestellten in herkömmlicher Währung bezahlt werden, und das Nettogehalt zu einem vereinbarten Prozentsatz in Zeitwährung. Außerdem bewegen sich der weitaus überwiegende Anteil aller Tauschhandlungen im Bereich der Nachbarschaftshilfe, und die wurde glücklicherweise noch nie versteuert und der Helfer erwartet sich auch keine Sozialversicherung. Zeitwährungen sind mit Geldwährungen kompatibel. Es gäbe also auch bei einer Professionalisierung von Arbeitsverhältnissen auf Zeitwährungsbasis keinerlei Probleme mit der Abgeltung von Sozialbeiträgen.

Nachbarschaftshilfe ist keine Spielerei und sie ist auch keine Schattenwirtschaft. Sie ist eine wichtiger Beitrag zur Verbesserung der Lebensqualität.

Kranke, behinderte oder alte Menschen sind vom Tauschring nicht ausgeschlossen. Vielmehr finden Menschen mit Handicap viel leichter Möglichkeiten ihre Talente auszunutzen und sich dadurch Selbstbewußtsein zu erarbeiten, als in der genormten Wirtschaftswelt. Da ist kein „brutaler Kapitalismus“, in dem nur der Arbeitsfähige überleben kann, wie Herr Bierl behauptet. Vielmehr geht es um das positive Erlebnis, daß fast jeder Mensch Fähigkeiten hat, die er mit anderen teilen kann. Außerdem verfügt unser Verein beispielsweise über ein Sozialbudget, das sich aus den Mitgliedsbeiträgen speist. Damit werden soziale Arbeiten und/oder Projekte von Tauschringmitgliedern unterstützt.

Schwundgeld oder auch „rostendes“ Geld hat nichts mit einem Zeitkonto in einem Tauschring zu tun. Diese zwei Dinge werden zwar oft in einen Zusammenhang gesetzt, das hat aber hauptsächlich historische Gründe, weil die zwei Ideen in ähnlichen Zusammenhängen propagiert wurden und werden. In der praktischen Verwendung fällt mir jetzt keine wirkliche Gemeinsamkeit ein. Ein Guthaben auf dem Zeitkonto schwindet nicht. Es vermehrt sich auch nicht auf wundersame, aber angeblich stets moralisch korrekte Weise, wie man uns das im Zinsgeldbereich seitens der Banken immer vorzumachen versucht. Die Zeitwährung kann durchaus wertbeständiger als Bargeld sein, denn eine Stunde wird auch in ferner Zukunft vermutlich 60 Minuten haben. Inflation ist dadurch weitgehend ausgeschaltet (natürlich gibt es auch hier Bindungen ans Bargeld zur Wertfindung, die sind aber nicht sehr intensiv). Die Begrenzung der Einnahmen, die in vielen (auch in unserem) Tauschring praktiziert wird, hat eine sehr praktische Begründung: Solange Tauschringe relativ wenig Mitglieder haben, wirkt sich das Horten von Zeitguthaben zwangsläufig sehr negativ auf den Kreislauf des gesamten Rings aus. Die Handelsmöglichkeiten kommen ins Stocken. Bei mitgliedsstärkeren Vereinen kann durchaus auf diese Limitierung verzichtet werden, was auch zum Teil passiert.

Ein Punkt, den Herr Bierl kurz anspricht, erscheint mir als sehr berechtigte kritische Auseinandersetzung mit dem Thema, und ich möchte ihn hier nochmals anführen, weil er mich ebenfalls gerade beschäftigt:

Tauschringe bieten unter Umständen der öffentlichen Hand die Möglichkeit gesellschaftliche Randgruppen (Langzeitarbeitslose, Arbeitsunfähige oder schwer in einen herkömmlichen Arbeitsprozeß eingliederbare Menschen), oder Menschen, die intensive Betreuung benötigen (Behinderte, alte Menschen) abzuschieben und billig zu versorgen.

Tatsächlich erkennen Politiker zunehmend die Chancen, die sich im sozialen Bereich durch die Entwicklung von Tauschringen ergeben. Allerdings gibt es da zwei unterschiedliche Zugangsweisen: Eine Gemeinde wird selbst aktives Mitglied in einem Tauschring und anerkennt dadurch den Verein als eine für jeden interessierten Menschen zugänglich zu machende Alternative zum herkömmlichen Geldsystem. Sie erkennt auch für sich als Gemeinde die wirtschaftlichen und sozialen Vorteile. An solchen Projekten arbeiten meines Wissens zur Zeit einige Tauschringe in Europa (auch unser Verein), und in einigen Gemeinden funktionieren sie bereits.

Wesentlich häufiger ist leider der zweite Ansatz, die Tauschidee sei nur für Menschen, die nicht „fähig“ sind „echtes“ Geld zu machen, also auf keinen Fall eine Sache für Politiker und Gemeinde. Der Tauschkreis wird also höchsten von außen unterstützt, um lästige Pflichten billig abgeben zu können.
Wieweit spielen wir mit unserem Verein irgendwelchen neoliberalen Vorstellungen in die Hände, die soziale Verantwortung auf private Vereine abschieben möchte?